Mom2Mom: Viola Cadruvi.

 In unserer Artikel-Reihe «Mom2Mom» gibt eine Mutter der nächsten das Wort. Gestartet sind wir in Zürich, dann ging die Reise vom Bündnerland über das Fürstentum Liechtenstein und den Walensee wieder zurück nach Zürich – zu Viola. Sie hat zwei Jobs und zwei Mädchen, macht sich manchmal zu viele Sorgen (sagt sie), pocht darauf, dass ihre Kinder rätoromanisch lernen und liest unfassbar viel.

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Viola Cadruvi
lebt mit ihren zwei Kindern (3.5 Jahre und 9 Monate in Zürich. Sie arbeitet im 50%-Pensum als Oberassistentin an der Uni, ist zu 20% als Drehbuchautorin bei Studio Toc angestellt und ist 1-2 Tage daheim (je nachdem).

Tadah: Wie hat sich Dein Leben verändert, als Du Mutter wurdest?
Rückblickend denke ich, dass das Mutterwerden ein kleiner Schock war. Ich war plötzlich zu 100 Prozent von diesem Baby beansprucht, wo ich vorher doch zu 100 Prozent selbstbestimmt war und so viel Zeit für mich hatte. Natürlich war mein Partner da, aber wenn man stillt, ist man halt körperlich doch sehr viel mehr beansprucht als der Mann. Man muss anwesend sein, kann nicht einfach mal so weggehen, zumindest nicht in der ersten Zeit. Ich konnte der ganzen Sache irgendwie nicht so viel Positives abgewinnen. Ich hatte zwar zum Glück keine Depression und auch keinen Babyblues, aber ich bin jetzt auch nicht voll aufgegangen in dieser Rolle als Babymutter. Es ging immer irgendwie darum, die Zeit rumzukriegen, die ich mit dem Baby alleine war und ich war oft neidisch auf meinen Partner, der so schnell wieder raus konnte, und sei es «nur» zur Arbeit.

Ich hatte allerdings das Glück, dass eine meiner besten Freundinnen quasi zur gleichen Zeit ihr erstes Kind bekam und wir haben dann viel Zeit zu viert verbracht. Das hat mir sehr geholfen.

Die Gefühle, die Liebe für meine Tochter kamen nicht zack auf einen Schlag als ich sie zum ersten Mal in den Armen hielt. Das kam erst mit der Zeit. Erst nach zwei, drei Tagen habe ich das Baby angeschaut und gedacht «Ach, eigentlich ist sie doch ganz niedlich.» Je grösser sie wurde, desto intensiver wurden aber die Gefühle. Auch fand ich es immer toll, wenn sie wieder etwas neues konnte. Das waren meine Highlights – und sind es noch.

Nach der Geburt meiner zweiten Tochter war es anders, die Gefühle waren schneller, quasi sofort da und auch die Umstellung habe ich nicht als so krass empfunden. Es ist nicht mehr so langweilig, weil die grosse Tochter immer auch noch da ist und für Abwechslung sorgt und die Kleine unterhält. Ich bin lieber Mama von zweien, als Mama von einem Kind.

Findest Du Elternratgeber wertvoll? Und wenn ja, welche?
Ich glaube, generell geben Elternratgeber den Eltern (insbesondere Müttern) eher ein schlechtes Gefühl. Irgendetwas macht man gemäss diesen Ratgebern doch immer falsch. Ich hatte Babyjahre von Remo Largo (den Klassiker) gelesen. Es nervt zwar, dass der Fokus in diesem Buch dermassen auf der Mutter liegt und weniger auf dem Vater, aber trotzdem… Grundsätzlich hat mir das Buch geholfen, weil dort die Entwicklungsschritte gut erklärt wurden und trotzdem immer wieder gesagt wurde «Jedes Kind ist anders».

Welchen Ratschlag würdest Du einer Mutter geben, die ihr erstes Kind erwartet?
Wenn ich gefragt würde (und wirklich nur dann), würde ich ihr raten, darauf vorbereitet zu sein, dass die kommende Zeit sehr wahrscheinlich nicht so rosa werden wird, wie in Filmen und Büchern oft suggeriert wird – und dass das auch völlig in Ordnung ist. Es ist in Ordnung, wenn man nicht sofort total happy und verliebt ist. Es ist in Ordnung zu hadern und zu zweifeln, es ist in Ordnung, wenn man Angst hat. Solche Sachen brauchen Zeit, Geduld und viele liebe Leute um einen herum.

Wann und warum wusstest Du, dass der Vater Deiner Kinder der Vater Deiner Kinder werden wird?
Oh, das kann ich so genau nicht sagen. Wir waren schon sieben Jahre zusammen als ich schwanger wurde und haben davor schon lange und oft über Kinder gesprochen, darüber, wie wir das regeln würden, welche Vorstellungen wir haben etc. Ich denke, im Laufe dieses Prozesses wurde mir das wohl immer klarer…

«Ich habe dauernd ein schlechtes Gewissen. Danke Gesellschaft.»

Hast Du je gedacht: Das schaff ich nicht? Und wenn ja, in welcher Situation? Und wie hast Du sie gemeistert?
Im Alter zwischen eins und zweieinhalb war meine ältere Tochter oft krank. Eigentlich jedes Mal, wenn sie sich erkältet hat, hatte sie auch Atemnot und sie musste Ventolin inhalieren. Zu dieser Zeit bin ich oft an meine Grenzen gestossen, vor allem emotional. Ich hatte immer Angst, etwas falsch zu machen, zu viel Medis zu geben, zu wenig Medis zu geben, wieder mit ihr ins Spital zu müssen… In letzter Zeit ist das besser geworden. Sie reagiert nicht mehr so stark und mit jedem Mal, mit dem wir eine Schnudernase und Husten ohne schwerere Verläufe überstehen, sinkt auch meine Angst.

Hast Du manchmal ein schlechtes Gewissen Deinen Kindern gegenüber?
Dauernd. Danke Gesellschaft.

Darf man als Mutter lügen? Und wenn ja, wann und wieso?
Na, da kann man sich wohl auch fragen «Darf man als Mensch lügen?». Eine Mutter ist genau so ein Mensch, wie alle andern auch. Wenn man es generell darf, darf man es auch als Mutter.

Euer Lieblingskinderbuch?
«La festa per la streia Merrilu», die rätoromanische Übersetzung des Buches «Hexenfest für Merrilu» von Dorothea Lachner.

Wie sieht ein idealer Tag mit Deinen Kindern aus?
Wir frühstücken morgens zu viert im Bett, dann gehen wir raus, treffen Freund:innen mit Kindern. Die Kinder spielen auf dem Spielplatz zusammen, die Grossen trinken Kaffee und essen Gipfeli. Dann gehen wir zu den Freund:innen nach Hause, kochen zusammen Mittagessen, die Kleine macht Mittagsschlaf im Kinderwagen. Wieder raus, spielen, Kaffee trinken, abends Essen bestellen und spätestens um acht sind die Kinder im Bett.

Wie einer «dieser» Tage?
Die Nacht war eine Katastrophe, Kinder husten, Nase läuft, Fieber. Ich wache schon mit Kopfschmerzen auf, weil ich vor lauter Stress die ganze Nacht den Kiefer zusammengebissen habe. Die Ältere will kein Frühstück, die Kleine verweigert den Schoppen. Mit Müh und Not überrede ich beide zu etwas Flüssigkeit. Dauernd überlege ich, ob ich die Ärztin anrufen soll oder nicht. Abwägen, was besser ist. Reagiere ich über? Ab wie viel Fieber darf ich Medis geben? Die Grosse ist quengelig, will nichts. Wenn die eine endlich schläft, ist die andere wach. Nie Pause. Immer ein Kind auf dem Arm. Ich warte den ganzen Tag auf den Abend und die ganze Nacht auf den Morgen.

Welche Charaktereigenschaften sollen Dein Kinder von Dir haben?
Ich fände es schön, wenn sie beide gerne lesen würden wie ich und wenn sie beide ebenfalls neugierig werden (ich weiss, das kann auch nerven, aber trotzdem). Und vor allem ist es mir sehr wichtig, dass beide ebenfalls meine Muttersprache Rätoromanisch sprechen, auch wenn wir in einem deutschsprachigen Gebiet leben.

Wofür gibst Du am meisten Geld aus?
Generell: Wohnung, Krankenversicherung, Kita. Ansonsten kaufe ich sehr viele Bücher – für mich und die Kids.

Wie ähnlich bist Du Deiner eigenen Mutter?
Ich achte ebenfalls darauf, dass meine Kinder ihre Muttersprache Rätoromanisch sprechen. Da bin ich sehr strikt. Generell bin ich, glaube ich, ein wenig unentspannter als sie. Ich lese mehr nach, recherchiere mehr, mache mir mehr Sorgen, wenn die Kids krank sind. Ich bin vielleicht auch etwas perfektionistischer veranlagt. Ich plane sehr gerne, und möchte, dass alles so läuft wie ich es vorgesehen habe. Nicht ideal mit Kindern, ich weiss…

Was inspiriert Dich?
Bücher.

Was macht Dich nervös?
Laufende Nasen, Husten, kranke Kinder.

Wie und wo tankst Du für den nächsten Tag Energie?
Beim Lesen (immer mal wieder wenn sich tagsüber ein paar Minuten ergeben) oder abends wenn die Kinder im Bett sind und wir ein bisschen Zweisamkeit haben.

 

«Ich habe mir (mehr oder weniger) bewusst Jobs gesucht, in denen das Konzept Teilzeitarbeit schon etabliert war.»

Hat sich Deine Einstellung zu Deiner Karriere geändert, seit Du Mutter bist?
Nicht wirklich. Ich wusste schon immer, dass ich Kinder möchte und habe mir (mehr oder weniger) bewusst auch Jobs gesucht, in denen das Konzept Teilzeitarbeit schon etabliert war. Ich wollte nie die Riesen-Karriere machen, ich wollte vor allem immer etwas machen, was mir Spass macht. Wenn, dann bin ich mit der Mutterschaft eher ein bisschen ehrgeiziger geworden, so im Sinn von «Jetzt erst recht!».

«Eine gleichberechtigte Aufteilung der Familienarbeit ist nach wie vor eine grosse Ausnahme.»

Findest Du, man kann in der Schweiz Familie und Beruf gut unter einen Hut bringen? 
Ich finde nicht – vor allem nicht als Frau. Teilzeitarbeit bei Männern (in Pensen unter 80%) ist zu wenig etabliert, eine gleichberechtigte Aufteilung der Familienarbeit ist nach wie vor eine grosse Ausnahme.

Was fehlt? Was müsste Deiner Meinung nach anders sein?
Es fehlt an (männlichen) Vorbildern, die Teilzeit arbeiten. Aber vor allem fehlt es an der entsprechenden Struktur, sowohl von Seiten der Arbeitgebenden (die Teilzeitarbeit nicht nur ermöglichen, sondern auch fördern sollten) als auch von Seiten des Staates. Die Kitas sind zu teuer, in vielen Regionen noch zu verpönt. Es ist oft zu schwierig, einen Platz zu finden, es gibt zu wenig Betreuungspersonal, die Arbeit dort ist zu schlecht bezahlt und bekommt zu wenig Prestige und Anerkennung.

Wie löst Ihr die Betreuung der Kinder?
Einen Tag Kita, einen Tag Schwiegermutter, einen Tag mein Partner, ein bis zwei Tage ich und meine Mutter (je nachdem).

Welcher Mutter möchtest Du das Wort übergeben und wieso?
Ich möchte Simone Bodenmann-Heim das Wort geben. Sie ist Mutter eines kleinen Jungen und Psychotherapeutin auf der Maternité in einem Zürcher Spital und kennt die Themen und Probleme rund ums Mutterwerden sowohl privat als auch beruflich.