Mom2Mom: Yvonne Zimmermann.
In unserer Artikel-Reihe «Mom2Mom» gibt eine Mutter der nächsten das Wort. Gestartet sind wir in Zürich, dann ging die Reise vom Bündnerland über das Fürstentum Liechtenstein und den Walensee wieder zurück nach Zürich und nun sind wir in St. Gallen – bei Komplementär-Therapeutin und Zweifachmutter Yvonne Zimmermann, mit der wir über Familienhierarchien, Kontrollverlust und Flexibilität gesprochen haben.
Yvonne Zimmermann lebt mit Mann, ihrem Sohn Luca (6 Jahre) und ihrer Tochter Giulia (4 Jahre) in Degersheim, St. Gallen. Sie arbeitet im 40%-Pensum als Lehrerin an einer Berufsschule, im 10%-Pensum in ihrer eigenen Praxis, macht in einem 10%-Pensum eine Ausbildung zur Komplementär-Therapeutin (APM) und macht im 5%-Pensum zudem Vorstandsarbeit. 40% ist sie zu Hause.
Tadah: Wie hat sich Dein Leben verändert, als Du Mutter wurdest?
Ich merke, dass ich nicht mehr alles in meinem Tempo durchziehen kann und nicht mehr auf mehreren Spuren gleichzeitig mit meinen To-Dos und To-Bes unterwegs sein kann. Aber genau das macht mich fokussierter. Mein Beruf Pflegefachfrau, im Schichtbetrieb und in einer leitenden Funktion, habe ich nicht mehr seit meinem zweiten Kind 2020. Meine Werte mit Beruf und Familienleben waren längerfristig nicht zufriedenstellend, obwohl ich im Rahmen eines CAS (Change Management) an der ZHAW das Thema Topsharing/Jobsharing in einer leitenden Position erarbeitet habe.
Findest Du Elternratgeber wertvoll? Und wenn ja, welche?
Ich denke, Elternratgeber können durchaus hilfreich sein, da sie Orientierung in der Entwicklung von Kindern geben und beruhigen, wenn man erkennt, wie gross und vielfältig die Bandbreite normaler Entwicklungen sind. Sie bieten die Möglichkeit, sich zu informieren, ohne sich ständig mit anderen zu vergleichen. Gleichzeitig finde ich es wichtig, wieder mehr ins Vertrauen und in die eigene Intuition zu investieren – das kostet weniger Zeit und bringt oft mehr Klarheit. Foren können je nach Persönlichkeit hilfreich sein, aber sie neigen dazu, vom eigentlichen Problem abzulenken und den Fokus zu verlieren.
Welchen Ratschlag würdest Du einer Mutter geben, die ihr erstes Kind erwartet?
Sich die «Familienhierarchie» möglichst früh bewusst zu machen. Und immer daran arbeiten, sie auch versuchen umzusetzen. Dabei lautet meiner Meinung nach die Reihenfolge: Ich, dann der Mann/Partner, und danach die Kinder. Wenn die Eltern sich selbst und ihre Partnerschaft priorisieren, profitieren die Kinder davon, weil sie Stabilität und Sicherheit erleben. Niemand ist perfekt, und jede Mutter findet ihren eigenen Weg. Nimm Dir Zeit, auf Dein Bauchgefühl zu hören und hab Vertrauen in deine Fähigkeiten – Du wirst wachsen, gemeinsam mit Deinen Kindern. Wähle einen Job, der nicht zu fest von äusseren Bedingungen abhängt bzw. wo Flexibilität erlaubt ist.
Wann und warum wusstest Du, dass der Vater Deiner Kinder der Vater Deiner Kinder werden wird?
Es hat sich einfach auf allen Ebenen richtig und leicht angefühlt. Da war dieses Vertrauen, dass wir nicht nur als Paar, sondern auch als Elternteam funktionieren können. Ich wusste, dass er auf meinen beruflichen Werdegang Rücksicht nimmt und zu den Kindern schauen möchte.
Hast Du je gedacht: Das schaff ich nicht? Und wenn ja, in welcher Situation? Und wie hast Du sie gemeistert?
Nein, das habe ich so nie gedacht – auch wenn es vielleicht schwer vorstellbar klingt. Die ersten Jahre mit unseren Kindern waren für uns im Grossen und Ganzen eine entspannte Zeit. Wir hatten selbst in unserer Kindheit bis 4 Jahren offensichtlich wenig Themen, die in der Erziehung unserer Kinder wieder aufkamen. Ich glaube fest an ein Zwiebelschema: Jeder Mensch trägt Themen in sich, die durch die eigenen Kinder wieder aufkommen werden – aber die Frage ist, in welchem Alter sie ans Licht kommen.
Vor neun Monaten jedoch durchlebten wir eine völlig unerwartete und erschütternde Wendung. Ein Grippevirus ergriff unsere Tochter – ohne die typischen Erkältungssymptome, ohne richtiges Fieber – doch innerhalb von nur 24 Stunden verlor sie alle fein- und grobmotorischen Fähigkeiten. Sie konnte nicht mehr laufen, nicht mehr rennen, nicht mehr malen oder sprechen. Es war, als würde der Boden unter unseren Füssen plötzlich weggerissen.
In diesem Moment vom völligen Kontrollverlust habe ich jedoch eine tiefere Lektion gelernt: Es ging nicht um den Inhalt der Situation oder darum, sofort Lösungen zu finden. Es ging darum, Schritt für Schritt durchzuhalten – auszuhalten, im Moment zu sein und auf einer noch tieferen Ebene Vertrauen zu lernen – Vertrauen, dass unser Sein und unsere Gedanken Wunder bewirken.
Heute sind wir wieder gesund, zurück im Alltag, aber die Erfahrung hat uns gelehrt, dass das grösste Geschenk, das wir unseren Kindern geben können, nicht die Antworten auf all ihre Fragen sind, sondern die Fähigkeit, sie in Krisen spüren zu lassen, wie stark wir wirklich sind und dass wir nicht nur von äusseren Umständen abhängen.
Hast du manchmal ein schlechtes Gewissen Deinen Kindern gegenüber?
Ja, leider kommt dieses Gefühl des schlechten Gewissens immer wieder auf. Ich glaube, es rührt daher, dass ich diese Erfahrung (eine arbeitende Mutter zu haben) in meiner eigenen Kindheit nicht so erlebt habe. Ich war von fünf Kindern die Jüngste und meine Mutter war die meiste Zeit zu Hause. Mein Vater war 100% in der Berufswelt. Es hat mit Glaubensätzen zu tun. Ein neuer Satz hat sich für mich wie folgt ergeben: Ich bin eine liebevolle Mutter, und es ist in Ordnung, meine beruflichen Ziele zu verfolgen. Indem ich arbeite, gebe ich auch meinen Kindern wichtige Werte wie beispielsweise Unabhängigkeit vor.
Darf man als Mutter lügen? Und wenn ja, wann und wieso?
Ich finde, dass das, was ich den Kindern sage, wahr sein muss. Aber ich muss nicht alles sagen, was wahr ist. Zudem ist auch der Zeitpunkt entscheidend. Kinder können mit allem umgehen.
Euer Lieblingskinderbuch?
Wimmelbücher und Kasimirbücher.
Wie sieht ein idealer Tag mit Deinen Kindern aus?
Ein guter Tag beginnt eine Stunde, bevor die Kinder wach werden, mit einem Zitronenwasser. Dann starte ich mit Dehnen und Workouts, wecke die Kinder und wir frühstücken gemeinsam. Jede:r geht anschliessend ihren/seinen eigenen Weg – sei es Schule, Kita oder Arbeit. Mittags gibt es Zeit mit Mama oder Papa, bevor der Nachmittag wieder der Arbeit oder je nach Tag dem Spielen gehört.
Wie einer «dieser» Tage?
Wenn alle nicht aus dem Bett mögen, wenn wenig Zeit für Spontanes oder Unerwartetes da ist, wenn die Lösungen weniger im Fokus sind sondern das Nörgeln.
Welche Charaktereigenschaften sollen Deine Kinder von Dir haben?
Körperliche Ausgeglichenheit und meine Neugier. Ich wünsche mir, dass meine Kinder Eigenschaften von mir übernehmen, die helfen, ihre Herausforderungen zu meistern.
Wofür gibst Du am meisten Geld aus?
Neben den Investitionen ins Haus gebe ich am meisten Geld für Ausbildungen aus.
Wie ähnlich bist Du Deiner eigenen Mutter?
Meiner Mutter bin ich in ihrer Hilfsbereitschaft und ihrem Einsatz für andere sehr ähnlich – sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, für andere da zu sein. Gleichzeitig unterscheiden wir uns im Lebensstil deutlich: Ich habe mich für eine eigene Richtung entschieden – «nur» zwei Kinder, eine Ausbildung und berufliche Ziele. Ich schätze ihre Werte, die mich geprägt haben, und ich lebe sie auf meine ganz eigene Art.
Was inspiriert Dich?
Menschen, die mit Respekt, Demut und Gelassenheit agieren. Auch diejenigen, die trotz Herausforderungen nie aufgeben und mit Kreativität und Optimismus ihren Weg gehen. Mich inspirieren Menschen, die das Leben immer wieder reflektieren, nach dem Guten Ausschau halten und viel Humor haben.
Was macht Dich nervös?
Ein zu voller Terminkalender, unerledigte To-Dos oder das Wissen, dass noch viele Aufgaben auf mich warten, die ich erst am frühen Morgen oder in einem hoffentlich ruhigen Moment erledigen kann. Besonders, wenn ich das Gefühl habe, die Zeit rennt mir davon – dann wird es zur Herausforderung, die geistige Balance zu halten.
Wie und wo tankst Du für den nächsten Tag Energie?
Schlaf sei Dank – das ist meine wichtigste Energiequelle. Zusätzlich helfen mir kleine Rituale wie Dankbarkeitsübungen am Abend und am Morgen, um positiv in den Tag zu starten. Tanzen bringt mich in Bewegung und hebt meine Stimmung, und mit dem Mantra «Today it’s gonna be an amazing day» starte ich mit Leichtigkeit in den neuen Tag.
Hat sich Deine Einstellung zu Deiner Karriere geändert, seit Du Mutter bist?
Da bin ich ein wenig ambivalent unterwegs… Ich finde Karriere ist möglich, vor allem wenn die Kinder klein sind, jedoch auch abhängig vom Beruf und Abhängigkeit von Menschen und den Örtlichkeiten. Ich finde, Kinder brauchen nicht die ganze Zeit Eltern um sich und trotzdem braucht es eine Umgebung, die Ruhe, die passende Stufe der Präsenz und Verständnis vermittelt. Darunter versteht jede:r was anderes. Die Frage ist auch: Kann ich mit dem nicht Kontrollierbaren umgehen?
Findest Du, man kann in der Schweiz Familie und Beruf gut unter einen Hut bringen?
Ja und nein – es hängt vom Beziehungsstatus ab und dem Beruf. Für Alleinerziehende ist die Balance eine grössere Herausforderung, da sie oft die gesamte Verantwortung allein tragen. Hier braucht es dringend mehr flexible Betreuungsangebote. Ohne dieses Angebot wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unmöglich. Für Paare ist es grundsätzlich leichter, aber auch hier liegt die Herausforderung in der Rollendefinition.
Ich denke, es ist eine Frage des Preises und der Prioritäten. Es funktioniert nicht, dass Väter weiterhin 100% arbeiten, während die Mutter ebenfalls im gleich hohen Pensum berufstätig sein möchte.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfordert Betreuungslösungen, mit denen sich alle wohlfühlen. Das ist eine echte Herausforderung, denn genau dort tauchen oft Konfliktpunkte auf. Verschiedene Betreuungssituationen erfordern viel Kommunikation, Planung und ein Umfeld, das flexible Rollenbilder unterstützt. Es geht längst nicht mehr nur um die Frage, ob Familie und Beruf vereinbar sind, sondern vielmehr um das Wie.
Was fehlt? Was müsste Deiner Meinung nach anders sein?
Beide Elternteile müssen bewusst entscheiden, wie sie Verantwortung und Aufgaben aufteilen – sowohl finanziell als auch im Alltag mit den Kindern. Dabei stellt sich oft die Frage: Geht es primär um mehr Einkommen oder darum, dass beide Partner:innen beruflich erfüllt bleiben? Meine Erfahrung ist es, dass noch vieles finanziell ausgerichtet ist, was oft zulasten einer gleichberechtigten Rollenteilung geht. Sobald die Rollen, Ziele und das Budget abgestimmt sind, kann die Betreuungslösung mit Eltern/Bezugspersonen/Kita/Mittagstisch zum Tragen kommen.
Welcher Mutter möchtest Du das Wort übergeben und wieso?
Marion Leu, Mutter und leitende Mitarbeiterin beim Careum Verlag. Sie ist eine Brieffreundin von früher, die ich erst kürzlich zufällig getroffen haben im beruflichen Kontext.
Hier geht es zum letzten Mom2Mom-Interview.