Mom2Mom: Ursina Giger.

 In unserer Artikel-Reihe «Mom2Mom» gibt eine Mutter der nächsten das Wort. Gestartet sind wir in Zürich, dann ging die Reise vom Bündnerland über das Fürstentum Liechtenstein und den Walensee wieder zurück in die Stadt Zürich – zu Ursina. Sie ist selbständige Musikerin – ein Beruf, der nicht gerade vereinbarkeitsfreundlich ist. Wie sie trotzdem versucht, Job und Familie unter einen Hut zu bringen, lest Ihr hier.

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Ursina Giger
lebt mit ihren zwei Kindern Valentina (4) und Giulian Aluis (2 Monate) in Zürich. Die selbständige Musikerin hat kein fixes Arbeitspensum, arbeitet aber im Durchschnitt 60%. Momentan ist sie 100% daheim, da sie gerade ihr zweites Kind bekommen hat. 

Tadah: Wie hat sich Dein Leben verändert, als Du Mutter wurdest?
Das Leben hat sich sehr stark verändert. Ich trage plötzlich die Verantwortung für zwei kleine Menschen und Me-Time hat eine völlig neue Bedeutung bekommen. Erst nach der Geburt meiner Tochter wurde mir bewusst, wie viel Zeit ich davor zur freien Verfügung hatte. Vor allem am Anfang, wenn die Kinder gefühlt nonstop und auch nachts gestillt werden wollen, ist dieses Gefühl überwältigend. Gleichzeitig habe ich aber auch eine neue Ruhe gefunden, was meinen Beruf als Musikerin angeht. Ich habe nicht mehr das Gefühl, jedes Konzert spielen oder bei jedem Projekt zusagen zu müssen, um meine Karriere voranzutreiben. Heute wähle ich besser aus, was ich machen will und was nicht – und ich höre besser auf meinen Bauch, weil es nicht anders geht. Das ist ein Vorteil.

Findest Du Elternratgeber wertvoll? Und wenn ja, welche?
Wertvoller finde ich es, mich mit befreundeten Eltern und mit meinem Partner auszutauschen und zu diskutieren. Bücher von Remo Largo und Jesper Juul finde ich zudem hilfreich, um Entwicklungsschritte zu verstehen. Grundsätzlich finde ich aber, dass es sehr viele schlechte Elternratgeber gibt, die eher Verwirrung stiften.

Welchen Ratschlag würdest Du einer Mutter geben, die ihr erstes Kind erwartet?
«Höre auf Dein Bauchgefühl und lass Dich nicht von ungefragten Ratschlägen beirren.» Wenn man mich nach meinem Rat fragen würde, könnte ich sagen, dass ich bei meinem ersten Kind zu sehr auf die Schwangerschaft und Geburt fokussiert war, als auf das, was danach kommt. Ich hätte mich intensiver mit dem Thema Stillen beschäftigt, hätte ich gewusst, welche Herausforderung das sein wird.

Wann und warum wusstest Du, dass der Vater Deiner Kinder der Vater Deiner Kinder werden wird?
Wir sind ein sehr gutes Team. Wir ergänzen uns gut und was eine Person weniger gut kann, fällt der anderen meist leichter. Nebst der Liebe und dem Respekt füreinander war das ein wichtiger Grund dafür, mich mit ihm ins Abenteuer Familie wagen zu wollen.

«Wir teilen die Kinderbetreuung möglichst gleichmässig auf. Weil wir beide Musikschaffende sind und vor allem selbständig arbeiten, ist das möglich.»

Hast Du je gedacht: Das schaff ich nicht? Und wenn ja, in welcher Situation? Und wie hast Du sie gemeistert?
Solche Situationen gibt es immer wieder, aber meist sind es kurze Momente der Überwältigung, die sich auch schnell wieder auflösen oder klären. Seit wir Kinder haben, diskutieren wir viel mehr und sind nicht immer einer Meinung, was die Erziehung angeht. Diese Diskussionen sind teilweise herausfordernd. Es geht darum, Kompromisse zu finden, Raum einzunehmen, aber auch Raum zu geben und die eigene Sturheit zu überwinden.

Hast Du manchmal ein schlechtes Gewissen Deinen Kindern gegenüber?
Nein, eigentlich nicht. Meine Tochter Valentina liebt es, an zwei Tagen in der Woche zu ihren Freundinnen in die Kita zu gehen und zählt immer die Tage. Ansonsten teilen wir die Kinderbetreuung möglichst gleichmässig auf. Weil wir beide Musikschaffende sind und v.a. selbständig arbeiten, ist das möglich. Wenn ich arbeite, schaut der Papa zu den Kindern und umgekehrt. Wenn wir zusammenarbeiten, also gemeinsam Konzerte spielen, proben oder im Studio sind, dann schauen meist die Grosseltern zu ihr. Sie ist also immer in guten Händen und bei lieben Menschen. Mit meinem Sohn Giulian wird das später hoffentlich auch so gut funktionieren.

Darf man als Mutter lügen? Und wenn ja, wann und wieso?
Kleine Alltagslügen sind meiner Meinung nach erlaubt und erleichtern stressige Situationen.

Euer Lieblingskinderbuch?
«Das NEINhorn» von Marc-Uwe Kling ist immer wieder lustig.

Wie sieht ein idealer Tag mit Deinen Kindern aus?
An einem idealen Tag haben wir keine Pläne und entscheiden spontan, wie wir diesen gestalten. Es gibt genug Zeit für freies Spiel, Valentina hilft mir beim Kochen, Giulian schaut entzückt zu und am Nachmittag gehen wir nach draussen – entweder in den Wald oder in unseren Gemeinschaftsgarten.

Wie einer «dieser» Tage?
An einem dieser Tage ist es bereits am Frühstückstisch zu laut, wir fallen einander ins Wort und eines der Kinder ist immer unzufrieden. Ich muss alles zehnmal sagen bis es ankommt, und die Nerven liegen bereits beim Schuhe anziehen blank.

 Welche Charaktereigenschaften soll Dein Kind von Dir haben?
Ich hoffe, dass sie kreativ durch ihr Leben gehen werden.

Wofür gibst Du am meisten Geld aus?
Ganz klar für Essen. Wir kochen viel selbst, haben mit Freunden einen grossen Gemeinschaftsgarten und geniessen es, gut und vielfältig zu essen. Ich bevorzuge vollwertige, lokale, faire und nachhaltige Produkte.

Wie ähnlich bist Du Deiner eigenen Mutter?
Je älter ich werde, desto mehr Ähnlichkeiten fallen mir auf – vor allem seit ich Kinder habe. Ich sehe aber auch immer klarer, was ich anders machen will. Sie liebt es, die Familie zu bekochen, braucht viel Harmonie und möchte, dass es immer allen gut geht. Diese Dinge sind mir auch wichtig, aber trotz Harmonie braucht es Raum für Diskussionen. Man soll sagen dürfen, was man nicht gut findet oder was einem fehlt.

Was inspiriert Dich?
Authentische, starke, kreative Menschen, die ihren Weg gehen. Und Geschichten aus dem Alltag.

Was macht Dich nervös?Neue, unbekannte Situationen, die ausserhalb meiner Komfortzone liegen. Schon nur Konzerte zu spielen – an neuen Orten und vor unbekannten Menschen – bringt mich immer wieder in diese Gefühlslage. Da ich mich aber trotzdem immer wieder in diese Situation bringe, wachse ich auch daran.

Wie und wo tankst Du für den nächsten Tag Energie?
An lauen Sommerabenden auf dem Balkon, der unter einer grossen Buche liegt. Im Winter auf dem Sofa mit einem wärmenden Tee.

«Die Vereinbarkeit des Familien- und Musikerinnenlebens ist herausfordernd.»

Hat sich Deine Einstellung zu Deiner Karriere geändert, seit Du Mutter bist?
Ja, denn die Vereinbarkeit des Familien- und Musikerinnenlebens ist herausfordernd. Wenn ich spät von einem Konzert nach Hause komme und die Kinder am Morgen wieder früh wach sind, dann zehrt das an der Energie. Aber wie bereits erwähnt, führt diese Situation eben auch dazu, dass ich mir gut überlege, welche Jobs ich annehme und worauf ich lieber verzichte. Ich entscheide also viel bewusster, was ich will und was nicht. Schlussendlich ist das gut für mich, für meine Familie und auch für meine Karriere.

«Die Fremdbetreuung in der Schweiz ist teuer und die Strukturen starr.»

Findest Du, man kann in der Schweiz Familie und Beruf gut unter einen Hut bringen? 
Es ist eine Herausforderung, denn Fremdbetreuung ist teuer und die Strukturen sind starr. In Zürich gibt es zwar viele Kitas und wir haben das Glück, eine sehr gute Kita zu haben, die Kinder müssen aber trotzdem abends um 18 Uhr abgeholt werden. Wer keinen «nine to five»-Job und keine Familie hat, die bei der Betreuung mithilft, kommt schnell an die Grenzen. Unsere Arbeitszeiten sind sehr unterschiedlich und wenn wir Konzerte spielen, dann meist abends oder am Wochenende. Ohne unsere Eltern wäre die Betreuung durch eine:n Babysitter:in verhältnismässig so teuer, dass ich auch gleich zu Hause bleiben könnte.

Was fehlt? Was müsste Deiner Meinung nach anders sein?
Elternzeit wie in Deutschland oder Österreich über eine längere Zeit und so, dass sie auch von Vätern eingelöst werden kann.

Wie löst Ihr die Betreuung der Kinder?
Valentina ist an zwei Tagen in der Woche in der Kita. Wir sind beide Musikschaffende und unterstützen einander gegenseitig mit dem Ziel einer 50/50 Aufteilung. Natürlich ist das nicht immer ausgeglichen und wir führen nicht Buch, aber alle sollen genug Zeit für sich und die Arbeit haben. Eine unserer Regeln ist: First come, first served bei Konzertanfragen. Wenn zwei Konzerte auf den gleichen Tag fallen oder wir zusammen ein Konzert spielen, dann kommen meist die Grossmütter ins Spiel.

Welcher Mutter möchtest Du das Wort übergeben und wieso?
An Viola Cadruvi. Sie ist Powerfrau und Autorin. Sie schreibt Romane, Kolumnen, engagiert sich in diversen Bereichen, z.B. für die Canorta Rumantscha (die räthoromanische Kita in Zürich) und hat zwei Töchter. Sie lebt mit ihrer Familie ebenfalls in Zürich.